Hintergrund

Dem Projekt „TextKörper – KörperText“ geht das Projekt „Text kommt in Bewegung“ von 2019 voraus, ebenfalls eine Kooperation mit der Literaurinitiative handverlesen. Es lud Taube und hörende transdisziplinär arbeitende Autor*innen ein zu Produktionsworkshops, in denen sie Literatur schufen und einander in Tandems übersetzten. Die künstlerischen Kollaborationen dieses Vorgängerprojekts haben gezeigt, dass, unabhängig
vom Thema der künstlerischen Arbeit, bei einer hörend-tauben Autor*innen-Teamarbeit einige Selbstverständlichkeiten des hörenden Literaturbetriebs aufgebrochen werden müssen: Text – Körper – Autorschaft – Werk stellen sich vollkommen anders dar.

Gebärdensprachliche Literatur wird nicht niedergeschrieben und in Buchform publiziert, sondern gebärdet und gefilmt. Die einzelne Gebärdenpoesie ist untrennbar mit dem Körper ihres*r Autor*s*in verbunden – zumindest in der ersten „Niederschrift“. Zugleich gewinnt der Film als künstlerisches Medium erheblich an Bedeutung. Wird dieselbe Poesie von einem*r anderen Interpret*in performt, ist ein anderer Körper als Kommunikationsmedium dieser Literatur sichtbar. Das im schriftsprachlichen Gedicht anonyme „lyrische Ich“ wird zwangsläufig sichtbar und trägt ein Geschlecht, einen Gesichtsausdruck, eine Haarfarbe usw. Vollzieht der die Literatur gebärdende Körper minimal vom Original abweichende Bewegungen, kann dies wiederum Bedeutungsänderungen zur Folge haben: Ebenso wie die niedergeschriebene Literatursprache durch Metaphern, Assonanzen und Wortneuschöpfungen von der Alltagssprache abweicht, vollzieht auch die gebärdensprachliche Literatur sprachliche Neuschöpfungen, Irritationen und Abweichungen. Gerade weil gebärdensprachliche Literatur jedoch nicht auf ein über Jahrhunderte/- tausende gewachsene literarische Tradition zurückblicken kann, ist hier das meiste noch Neuland: Literarische Stilmittel, Gedichtformen (Sonett, Elegie usw.) oder Versmetren, die in der Schriftsprache bereits seit der Antike konventionalisiert sind, beginnen sich in der gebärdensprachlichen Literatur erst zu entwickeln. Das „Referenzsystem Literatur“, mit dem zeitgenössische hörende Autor*innen nach Belieben künstlerisch frei verfahren (postmodern covern, sampeln, intertextuell anspielen, parodieren oder auch gar nichts dergleichen), ist in der Gebärdensprache erst am Entstehen.